Im Herbst 1987 bekam ich erstmals in meinem Leben direkt mit der so genannten "Dritten Welt" zu tun, weil ich angefragt wurde, ob ich bei der Gründung eines einheimischen Klosters im Norden von Togo beratend und helfend mitmachen könnte.
Ich sagte zu und reiste im Frühjahr 1988 für drei Wochen hin. Nach einer
Odyssee von drei Tagen (das Telegramm, wann ich ankomme und am Flughafen
von Lomé abgeholt werden müsse, kam erst 2 Tage nach mir beim Adressaten in
Togo an) fand ich nach 420 km Buschtaxi-Fahrt und 20 km Fußmarsch außerhalb
der Stadt Kara, nahe der Grenze zu Benin, im weiten Buschland "meine" Gruppe
von 7 jungen Männern. Sie hatten auf einigen Hektar Land 2 Lehmhütten gebaut,
einen Brunnen gegraben und Felder angelegt, um dort als Mönche zu leben.
Im weiten Umkreis siedelten auf ihren Wohnsitzen Großfamilien zwischen ihren
Feldern mit einem Lebensniveau fast wie in der Steinzeit. In der Nähe gab es
eine desolate Grundschule mit 90 Schülern und 3 Lehrern. Ich verstand mich gut
mit den jungen afrikanischen Mönchen, kam im Herbst 1988 für drei Monate
wieder, teilte ihr einfaches Leben und lernte die Bevölkerung der Umgebung gut
kennen, denn der einzige Weiße weit und breit erregte ziemliches Aufsehen.
Außerdem stellten mir die jungen Mönche ständig Menschen in Not und Bittsteller
vor und übersetzten mir deren Schilderungen.
Zum Glück hatten mir die Gemeindemitglieder von Winzingen bei Donzdorf, wo ich damals lebte, spontan viel Geld für die arme Bevölkerung mitgegeben, das ich nun gut brauchen konnte, um die schlimmste Not zu lindern.
Zunächst half ich sehr vielen Einzelpersonen in Not, aber das erwies sich als Fass ohne Boden. Ich wurde dem damaligen Grundschulleiter Atana von Agbang, unserem ersten Koordinator, vorgestellt.
Er regte mich an, Schüler anzuwerben, denn die meisten Kinder würden daheim für die Arbeit gebraucht und die Eltern hätten zudem kein Geld fürSchulgebühr und -material.
Herr Atana A. Pawoubadi, gest. 2002
So besuchte im Radius von 10 km um unseren Wohnsitz sämtliche Familien und lockte sie mit dem Angebot, wenn sie einem Jungen und einem Mädchen den Schulbesuch gestatteten, würde ich alle Kosten für die Schule übernehmen und ihnen zudem als Entschädigung für die ausfallende Arbeit der Kinder eine monatliche Unterstützung zahlen.
Ankunft in einem Wohnsitz
Verlockendes Angebot
Ein besonders erschütterndes Erlebnis war folgendes: Einmal traf ich in 8 km Entfernung von meinem Wohnsitz einen blinden Vater an, der von meinem überraschenden Angebot, zweien seiner Kinder den Schulbesuch zu ermöglichen und ihm eine regelmäßige kleine Unterstützung zu gewähren, sehr angetan war.
Als ich am nächsten Morgen aufstand, sah ich von weitem den Blinden langsam durch die Buschlandschaft daherkommen, wobei ihn eines seiner Kinder an einem Stock über die Trampelpfade zog. Ich ging ihm entgegen, um mich zu erkundigen, ob er es sich anders überlegt habe. Aber er umarmte mich und sagte, er sei nur gekommen, um mir noch einmal "Danke" für die wunderbare Hilfe zu sagen. Dann wandte er sich um und ließ sich von seinem Kind wieder den weiten Weg zurückführen.
Alles Weitere entwickelte sich dann geradezu lawinenartig. Ich hielt in Deutschland Diavorträge über die Gegend und konnte einen Stamm von rund 200 ziemlich treuen Spendern finden. Schließlich musste dieses private Unternehmen auf juristische Füße gestellt werden und wurde darum im Herbst 1992 als eingetragener Verein etabliert. Im Frühjahr 2001 erreichte die Summe der Spenden seit dem Anfang 1988 den Pegelstand von 1 Million DM (bis Mitte 2010 wuchs die Summe insgesamt - mit den DM umgerechnet - auf 1 Million Euro an. Ab 1989 kannte ich die Bevölkerung der Gegend so gut, dass ich bis 1997 fast jedes Jahr einige Wochen hinfuhr und bei einzelnen Familien mitlebte.
Die Mädchen tragen Wasser
zum Wohnsitz
und füllen den täglichen
Vorrat auf
Ich habe mich nie als "Entwicklungshelfer" verstanden, sondern einfach als "Bruder" der Menschen. Darum drängte ich ihnen auch keine eigenen Vorstellungen auf. Es dauerte zwei, drei Jahre, bis die Menschen selbst kreativ wurden und mir sagten, was sie dringend brauchten (die Mütter zum Beispiel Hebammen, oder bestimmte Quartiere einen Brunnen; ein Dutzend konnten inzwischen gebohrt und angelegt werden). Auch unterbreiteten sie mir Pläne, was sie gerne anpacken würden, wenn ich ihnen eine Anschubfinanzierung geben könnte (Zuschüsse für Werkzeuge und Ackergeräte, Schafe, Hühner, Saatgut, Düngemittel, Baumaterialien z.B. für Speicher usw. usw.). Auf diese Weise konnte ich den Start von rund 40 Selbsthilfegruppen ermöglichen.
Das Ziel der TOGOHILFE ist bewusst niedrig angesetzt: Es geht darum, den Menschen im Busch, die dort grundsätzlich gern leben, zu einem Dasein zu verhelfen, das sie akuter Armut und Krankheit entreißt. Dadurch werden sie nicht zur Landflucht in die Städte gezwungen, wo die meisten in den Slums enden. Das Lesen und Schreiben und das Wissen werden heute in "unseren" Schulen den Kindern mittels togoischer Schulbücher vermittelt, die ihre Lebensverhältnisse thematisieren und sie zu einer gesünderen Lebensweise und effektiveren Arbeitsmethoden anregen. Es gibt statistische Belege, dass in Gegenden, wo der Schulbesuch gut ist, nach einiger Zeit der landwirtschaftliche Ertrag spürbar steigt und die Kinder- und polygamen Ehen deutlich weniger werden.
Die modernen Medien Fax und E-mail und ein fähiger Koordinator ermöglichen es, auch aus der Ferne weiter aktiv im Kanton präsent zu sein - und natürlich der Kreis von Freunden und Spendern, die die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.
Deren Genugtuung mag es sein, mit anzusehen, wie man mit relativ wenig Aufwand sehr viel bewirken kann. Vereint lässt sich die uns zugewachsene Aufgabe bislang recht gut meistern, alles, was der TOGOHILFE anvertraut wird, möglichst verantwortungsvoll und effektiv einzusetzen.
Herr Magnangou Koumou, Schulleiter der Grundschule von Agbang A und seit 2002 Koordinator der Togohilfe.
(Die Grundschule Agbang hatte 1988 90 Schüler; inzwischen hat sie über 500 und wurde in die Schulen A und B unterteilt.)