Eine Bemerkung des Kreisarchivars Walter Ziegler,
Winzingen sei immer eine relativ geschlossene, kleine überschaubare Einheit gewesen (es war Jahrhunderte lang ein freies Rittergut, das im Wesentlichen aus einem Schloss und 15 Höfen bestand), weshalb es möglich sein müsste, die kompletten Familienreihen zu erstellen, ließ mir keine Ruhe. So suchte ich nach den alten Tauf-, Heirats- und Sterberegistern und setzte aus dem Puzzle aller Einzeldaten aus dem Zeitraum von 1621 bis 1844 689 Familien genau zusammen. Ich verband sie mittels eines Zahlensystems so, dass heute jeder alteingesessene Winzinger innerhalb von 5 Minuten die Linie seiner Vorfahren über rund zehn Generationen zurückblättern kann.
Die zweite Herausforderung waren einige Sagen über den "Tyrann von Winzingen" mit dem Namen "Holzbrockeler". Der stammte daher, weil er bis in die jüngere Zeit als Geist auf dem Winzinger Hausberg, dem Heldenberg, umgegangen sein und sich dabei mit Vorzug als Gestalt, die Äste zerknackte ("Holz brockelte"), bemerkbar gemacht haben soll. Dieser Ortsherr aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts Er hatte einen entsetzlich schlechten Ruf als Leuteschinder, Blutsauger und Mörder. Ich wollte herausbringen, was historisch dahinter steckte.
Nach einigem Suchen wurde ich überraschend fündig und entdeckte erstmals in den Archiven des Grafen Rechberg zu Donzdorf und im Staatsarchiv Ludwigsburg fast 1000 Blatt Korrespondenz dieses Hauptmanns Berchthold von Roth. Ich konnte sie anfangs kaum entziffern, verbiss mich aber in die Aufgabe, sie alle in heutige Schrift umzuschreiben und lesbar zu machen (ein Exemplar dieser kompletten Umschrift aller Dokumente habe ich ins Kreisarchiv Göppingen auf Schloss Filseck gegeben). Von Roth hatte glücklicherweise mit seinem Rechtsanwalt Kreidenmann, der in Esslingen wohnte, fast jede Woche korrespondiert, um mit ihm seine Probleme mit den aufsässigen Winzingern zu besprechen. Es stellte sich heraus, dass er in Wirklichkeit ein kranker, hilfloser Mann gewesen war, der sich das Rittergut als Alterssitz gekauft hatte, aber von den Bewohnern nie akzeptiert wurde. Das war natürlich eine ziemlich sensationelle Umkehrung der Sagen. Ich habe die Geschichte 1994 erstmals veröffentlicht:
Die berühmt-berüchtigte Regierungszeit des Joachim Berchthold von Roth zu Winzingen (1607-1621)
in: Hohenstaufen-Helfenstein. Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen Bd.4 1994,67-124
Anton H. Konrad Verlag 89264 Weißenhorn 1994
Nach diesem Erfolgserlebnis hatte mich vollends die Leidenschaft gepackt und ich vertiefte mich weiter in die Geschichte des Ritterguts, das Alltagsleben der Bauern und auch das ihrer adligen Besitzer. Die längste Zeit waren das die Herren von Bubenhofen, die zunehmend verarmten, mit ihren Besitztümern in den Bankrott gingen und zu Anfang des 19. Jahrhunderts ausstarben
Es war faszinierend, zu sehen, dass sich in der Geschichte eines kleinen schwäbischen Dorfes die ganze Geschichte Mitteleuropas auswirkte und folglich aus der Sicht des kleinen Mannes nacherleben lässt.
Wer will, kann das alles im 1. Band meiner Winzinger Ortsgeschichte nachlesen. Ich gab ihm absichtlich den allgemeineren Obertitel "So lebten unsere Vorfahren", weil das zwar die Geschichte eines kleinen Ortes ist, aber zugleich en miniature die große Geschichte vorstellt.
So lebten unsere Vorfahren. Die Geschichte von Winzingen und Umgebung I
Chronikkunst-Verlag Grob Winzingen 1995, 420 S.
Zu bestellen bei der
Verwaltungsstelle Winzingen
Bürgerhaus Winzingen
73072 Donzdorf
Tel. 07162 / 2 98 18
Fax 07162/ 92 13 54
Zur Arbeit am II. Band, der bis 1900 reicht, kam ich erst wieder seit 2006, hatte jedoch von früheren Jahren bereits viel Material im Computer. Seit 2007 konnte ich wieder intensiv weiterarbeiten, so dass dieser Band mit seinen stattlichen 492 Seiten im Oktober 2010 erscheinen konnte. Ich schildere darin anhand von zahlreichen Originaltexten aus der Zeit ausführlich das Alltags- und Sozialleben im 18. und 19. Jahrhundert.
So lebten unsere Vorfahren. Die Geschichte von Winzingen und Umgebung II
Anton H. Konrad Verlag, Weißenhorn 2010, ISBN 978-3-87437-549-8.
Dieser Band ist über den Buchhandel erhältlich
oder auch bei der oben genannten Verwaltungsstelle Winzingen.
Siehe dazu auch die Präsentation dieses Buchs durch den Anton H. Konrad Verlag:
https.//www.konrad-verlag.de/geschichte/Ortsgeschichte/titel/124-die-geschichte-von-winzingen-und-umgebung.html
Derzeit arbeite ich am dritten und letzten Band der Winzinger Ortsgeschichte, der den Zeitraum vom Jahr 1900 bis zum Jahr 1975 (dem Jahr der Eingemeindung Winzingens nach Donzdorf) umfasst. Einen Großteil des Textes habe ich bereits verfasst. Dieser Band wird auch zahlreiche Bilder aus dieser Zeit enthalten. Voraussichtlich wird er 2021 erscheinen können.